Rezension zu Hannah Jarvis' "Caro"
Wer hat Angst vor Caroline Lamb?
Hannah Jarvis zerrt ein armes Mädchen aus Lord Byrons Schatten
Stimmt: Napoleon hatte Josephine – nur wer war das denn noch? Caesars Frau hieß Calpurnia – hat die nicht was von ihm geträumt? Ja klar: Bei Shakespeare war das! Und wie hieß dessen Frau? Ach richtig: „Keine Ahnung“! – Oder vielleicht doch: „Wen interessiert’s“?
Vermutlich Hannah Jarvis: In ihrem jüngst erschienen Buch „Caro“ hat sie im Umkreis des Dichters Byron eine Motte entdeckt, die dessen seit der Romantik strahlendes Licht tatsächlich ein Jährchen lang umflattert hat. Caroline Lamb, Ehefrau des Aristokraten und Politikers William Lamb, Viscount Melbourne, wäre heute längst und zurecht vergessen, wenn sie Byron 1812 nicht begegnet und verfallen wäre. Als die Affäre 1813 endete, war die arme Lamb zerrissen, da sie die Sehnsucht nach dem liebes- und lebenshungrigen Wolf Byron nie überwinden konnte. Caroline Lamb starb 15 Jahre später entehrt und gebrochen im Alter von 42 Jahren an den Folgen ihres Alkohol- und Drogenkonsums. Byrons verzehrendes Feuer hatte sie ein Jahr gewärmt, erhellt – und dann verbrannt.
Das wäre brauchbarer Stoff für die Untersuchung eines Kollateralschadens, den Genies in ihrer bedingungslosen Brillanz hinterlassen und hinterlassen müssen. Ein besserer Stoff natürlich für ein West End-Musical im einfachsten romantischen Sinne: heißblütige Abenteuer, verbotene Liebe, leidenschaftlicher Sex – mit tragischem Ende. Definitiv der beste Stoff jedoch für ein paar vergossene Tränen über einem Groschenroman, wie er gewöhnlich am Bahnhofskiosk von Hausfrauen für eine Zugfahrt zu den Schwiegereltern erworben wird.
Doch Hannah Jarvis will leider mehr. Sie will Geschichte schreiben, und das allen Ernstes. Nicht erst die quälende Lektüre ihres Buches macht dies deutlich; bereits ein Blick auf Miss Jarvis’ Foto auf dem Umschlagrücken erklärt, in welchem Fahrwasser sie schwimmt, strampelt – und, um es vorauszuschicken, untergeht. Der Feminismus ist bekanntermaßen seit einigen Jahren endgültig angekommen und macht es sich mit kurz geschnittenem Dickschädel, dafür jedoch reichlich Haaren auf den Zähnen zur Aufgabe, hinter großen Männern nun auch große Frauen zu entdecken, zu besprechen und bedeutungsvoll zwischen zwei Buchdeckel zu pressen. Die aus Frankreich – woher sonst? – kommende feministische „Theorie“ ist samt akademisch ähnlich trüben „Perspektiven“ wie Post-Strukturalismus oder Dekonstruktion über den Kanal geschwappt und verkündet nun auch in Großbritannien angestrengt bis hysterisch die neuesten Bonmots oder „Entdeckungen“ – in literarischen Salons, und, bedauerlicherweise, auch in Universitäten. Die allgemeine wie platte Begründung: Die feministische Sichtweise eröffne neue Forschungsfelder. Doch bleibt dabei meist der Wunsch der Vater des Gedankens. Pardon: die Mutter!
Nichts könnte dies besser veranschaulichen als Hannah Jarvis’ Buch. Zugegeben, Caroline Lamb hat schriftstellerisch gearbeitet, und zugegeben, die Wiederentdeckung ihrer Werke bedurfte angesichts totaler Vergessenheit eines geradezu unvorstellbaren Maßes an weiblicher Intuition – doch die versagt bei Miss Jarvis leider im Falle jeder wissenschaftlich haltbaren Analyse und Interpretation: Atemlos und schlichtweg dilletantisch skizziert sie im ersten Teil eine hässliche Schmiererei von Lord Byron als verzogenem Kind und kleinem Genie, vom damaligen Zeitgeist maßlos überschätzt. Und wozu? Kombiniere, Miss Marple – um in Teil II an Byrons Seite in „Caro“ die wahre, weil weibliche Heldin zu entdecken, eine von der Männergesellschaft vergewaltigte Dachkammer-Intellektuelle, große Poetin mit revolutionärem stilistischem und thematischem Potential, und natürlich stolze Wegbereiterin und Vordenkerin emanzipatorischer Phrasen.
Bald schon allerdings bestätigt sich die Befürchtung, dass die Verschollenheit von Caroline Lambs Werk gute Gründe hat. Denn stets bekommt man höchstens das, was draufsteht: ein Lamm im Schafspelz eben. Die primärtextlichen Belege für die Wichtigkeit dieser Entdeckung halten keiner kritischen Prüfung stand: ein paar holprig dahingeschmolzene Liebesverse sowie düster-melodramatischen Auszüge aus – wie originell! – yet another gothic novel, die schon seit Mary Shelley niemand mehr braucht. Kennst du eine, kennst du alle. Fehlen eigentlich nur noch ein paar Kochrezepte.
Cui bono also? Da muss man nicht weit suchen: Hannah Jarvis, na klar. Bisher eher unbedarft als engagierte Schriftstellerin und fleißige Biographin tätig, will sie jetzt zeigen, dass sie auch Archive besuchen und Fußnoten setzen kann. Das allein ist freilich noch keine Wissenschaft, aber bei derart offensiver feministischer Verbrämung steht trotzdem zu hoffen, dass es mit Miss Jarvis’ amazonengleich zusammen gezimmerten Thesen für eine Karriere im Umfeld ihrer Schwestern im Geiste reicht. So bläst sie ins selbe Horn. Und das klingt wieder mal falsch. Denn wie gesagt: Auch Hannah Jarvis bläst nicht gut.
Kunstwerke müssen nicht widerspruchsfrei sein, ernsthafte Forschung sollte es hingegen schon versuchen, besonders, wenn sie einen „theoretischen“ Anspruch verfolgt. Nur da kräht es in „Caro“ nur stakkatoartig: „Lord Byron ist nicht wichtig, Lord Byron ist nicht wichtig!“ Und das, so scheint’s, zwischen jeder Zeile. Doch wer wäre dieses arme Mädchen denn ohne ihn? Wer wären sie alle, jene verschwundenen oder gerade eben mal wieder zu relativistischen Zwecken ausgegrabenen Frauen (und Männer), die den Hauch des Genies verspürten – ohne die unnachahmliche Leidenschaft ihres Schöpfers, durch den allein eine Definition ihrer selbst oder ihres wie auch immer abgeklatschten Werkes überhaupt möglich ist?
Vielleicht ist die wichtigste Erkenntnis dieses Buchs die traurige Allianz zwischen der Autorin und ihrer Heldin: Beide wollten die Sonne durchschauen, erblindeten davon und beschmähen nun die ihnen für immer verlorene Schönheit dieses Anblicks. Bei der Lamb mag das noch tragisch anmuten, bei Hannah Jarvis ist es tragikomisch. Denn wer ist sie den nun? – Dichterin? Journalistin? Historikerin? Oder endlich Literaturwissenschaftlerin? Nein, nein, ähm… eine Frau! – Richtig!
Als die möchte sie uns zwar auf alle Fälle irgendetwas sagen. Allein, sie weiß nicht wie. Woher auch, wenn die Quellenlage so dürftig und die Recherche so zweifelhaft ist wie bei diesem Stoff. Man kann aus einer Motte eben keinen Elefanten machen. Das heißt also: Multitasking am Ende – und damit zurück zum Bahnhofskiosk. Vielleicht wäre es schlicht am besten gewesen, Miss Jarvis hätte sich an Ludwig Wittgensteins berühmten Satz gehalten: „Worüber man nicht sprechen kann, davon muss man schweigen.“
Hey – ob der wohl auch eine Frau hatte … ? Na, hoffentlich nicht.
Bernard Nightingale
(Der Autor lehrt Englische Literatur an der University of Sussex und hat sich auf Literatur- und Gesellschaftskritik und das frühe 19. Jahrhundert spezialisiert. Im letzten Jahr erschienen unter anderem „Rebel with a cause – Lord Byrons Revolution of Language and Society“ und „Luke, I am your father – The Quest for the Dark Side and Romantic Passion in Periods Ruled by Scientific Impotence”. Bernard Nightingale schreibt regelmäßig im Observer.)